Abbaye de Scourmont

Armand Veilleux's Homepage

 


MONASTIC events



 

 

 
 

Aus dem »BULLETIN DER A.I.M.«

 

Die Monastische Tagung in Kandy (Sri Lanka) August 1980

Ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit des Christentums in Asien [1]

 

 

Die 1500-Jahr-Feier der Geburt des heiligen Benedikt, die überall in der Welt so viele Begegnungen veranlaßt hat, bot auch Mönchen und Nonnen der großen Bene-diktinerfamilie in Asien Gelegenheit, sich in Kandy, im Herzen von Sri Lanka, wie Ceylon heute heißt, vom 18. bis 24. August zu versammeln. Dieses Treffen lag durchaus auf der Linie der Besinnung und des Dialogs, wie er in Bangkok 1968 begonnen und in Bangalore 1973 weitergeführt worden war. Diesmal trafen sich etwa 70 Mönche und Nonnen, die 28 Kornmunitäten aus einem Dutzend asiatischer Länder vertraten: von Indien und Sri Lanka bis Japan und den Philippinen. Mit den Repräsentanten der A.I. M. und einigen Gästen aus Ost und West waren es insgesamt ungefähr 80 Teilnehmer. Der Kongress stand unter dem Vorsitz von Abtprimas Viktor Dammertz. Anwesend war auch der Generalabt der Silvestriner, Simon Tonini. Der Generalabt der Zisterzienser ("Trappisten"), D. Ambrose Southey, hatte als Ko-Präsident — wie bei der Tagung in Abidjan 1979 (siehe diese Zeitschrift 1980, Heft 3, S. 226ff — fungieren sollen, konnte sich aber wegen des bevorstehenden Generalkapitels seines Ordens nicht freimachen. Erfreulicherweise durfte man einige Neugründungen begrüßen, die erst nach Bangalore entstanden sind, besonders in Indien und Malaysia. Hingegen herrschte Trauer über das Fehlen der Mönche von Kep in Kambodscha, deren Kommunität durch den Krieg aufgerieben und so nach 25 Jahren monastischen Lebens ausgelöscht worden war. Gegründet in Vietnam im Jahre 1950, war sie zwei Jahre später nach Kambodscha übergesiedelt. Die vietnamesischen Mönche wurden bereits 1970 ausgewiesen. 1975 wurde ein europäischer Mönch hingerichtet, die anderen vertrieben. Die drei letzten Mönche starben 1979 als Zeugen des Glaubens und ihres monastischen Lebens. So fiel über das christliche Mönchtum in Kambodscha der gleiche dunkle Schleier des Schweigens, der dort über der ganzen Kirche liegt. Unsere Mitbrüder und Mitschwestern aus Vietnam konnten nicht nach Kandy kommen, aber wir wissen, daß sie, wenn auch unter äußerst schwierigen Umständen, treu und tapfer ihr monastisches Leben weiterführen. Großherzig haben sie sich dareingefügt, fast ihres ganzen Besitzes beraubt worden zu sein; so teilen sie die harten Lebensumstände ihres Volkes und arbeiten bis zu acht Stunden täglich in den Reisfeldern. Eine Kommunität von Nonnen konnte sogar als solche weiterbestehen, weil sie schon lange vor der kommunistischen Herrschaft ihr großes Kloster verlassen hatte, um arm in einem Dorf Leben und Arbeit mit der Landbevölkerung zu teilen. Den Kommunisten blieb gar nichts anderes übrig, als hier die geradezu vorbildliche Verwirklichung ihres eignen Ideals von Solidarität zu erkennenl ! Wenngleich also niemand aus Vietnam in Sri Lanka sein konnte, so hatten wir doch eine Nonne aus diesem Lande unter uns, die derzeit in Afrika tätig ist.

Zahlenmäßig am stärksten vertreten war Indien mit fast 20 Teilnehmern und natürlich Sri Lanka, wo die Silvestrinermönche wirken und daher leicht Gelegenheit hatten, an unseren Sitzungen teilzunehmen. Die Silvestriner sind seit 1845 dort in Pfarreien und Schulen apostolisch tätig. Einer von ihnen, Mgr. Leo Nannayakkara, seit vielen Jahren Bischof von Badulla, nahm an dem Treffen dankenswerterweise sehr aktiv teil. Der Prior des Klosters von Monte Fano und seine Kommunität (nahe bei dem Nationalen Seminar von Kandy, wo unsere Tagung stattfand) boten allen Teilnehmern warmherzigste Aufnahme; er und seine Mitbrüder nahmen großzügig und wirkungsvoll die Lasten der materiellen Organisation auf sich. Während die Silvestriner von Sri Lanka mehr die aktive Seite benediktinischen Lebens darstellen, gehören mehrere Kommunitäten Indiens — vor allem die der Schwestern von Shanti Nilayam (Bangalore), die von P. Francis Acharya in Kurisumala (Kerala) und der Ashram von P. Beda Griffith von Shantivanam — der rein-kontemplativen Richtung an.

Die Teilnahme der Zisterzienser war zahlenmäßig schwächer als in Bangkok und Bangalore. Vor allem bedauerte man die Abwesenheit der blühenden und zahlreichen japanischen Kommunitäten. Immerhin waren Dom Joseph Murphy von Southern Star (Kopua, Neuseeland) und Dom Francis Harjawiyata von Rawa Seneng (Indonesien) gekommen, die auch bei den ersten von der A. I. M. veranstalteten Tagungen in Asien dabeigewesen waren. Dom Benedikt Chao von Lantao (Hongkong) hatte sich zwar angemeldet, war aber im letzten Augenblick am Kommen gehindert.

 

Gesamtthematik : Loslösung, Armut, Teilen

 

Die meisten Länder Asiens sind von der Geißel der Armut und des Elends heimgesucht, einem der Schandflecke unserer Gegenwart, der mehr oder weniger auf der ganzen Erde vorhanden ist. Selbst wirtschaftlich hochentwickelte Länder wie etwa Japan kennen Formen der Armut, wie sie auch in den reichen Ländern des Westens vorkommen: Freudlosigkeit, Fehlen familiärer Herzlichkeit, Mangel an geistigem Ideal. So ist es nicht überraschend, daß die von der A. I. M. veranstaltete Umfrage die Armut zum Gegenstand der Tagung von Kandy gewünscht hatte. Zudem ist dieses Thema ohnehin überaus wichtig für die religiösen Traditionen Asiens, vor allem im Hinduismus und Buddhismus, die indessen lieber von »Loslösung« oder von der Nicht-Anhänglichkeit sprechen. So lautete denn auch das Thema, das die monastischen Oberen bei ihrer Begegnung beim Abtekongreß 1977 in Rom formuliert hatten: Nicht-Anhänglichkeit — Armut — Teilen.

Der Begriff »Armut« ist freilich schillernd. In unserer religiösen Sprache meint er etwas ganz anderes als das, was man gewöhnlich darunter versteht. Es gibt eine durchaus negative, menschenunwürdige, erniedrigende Armut als Frucht der Unterdrückung und der Egoismen einer Minderheit, und es ist Pflicht von Christen, zusammen mit allen Menschen, ihre Opfer davon zu befreien. Diese herabwürdigende Armut ist nicht nur materieller Natur; auch findet sie sich nicht nur in der Dritten Welt. Es gibt jedoch auch eine positive, eine evangelische Armut, wie Jesus sie geübt und uns allen zum Vorbild gesetzt hat.

Diese evangelische Armut ist vor allem eine innere Haltung. Sie bedeutet Loslösung von allem, was nicht Gott ist, Befreiung von aller Knechtschaft der Sinne, des Herzens und des Geistes. Dabei handelt es sich keineswegs um eine blutlose Angelegenheit, die man im Innern haben könnte ohne jeden Verzicht auf materielle, gefühls- oder verstandesmäßige Güter. Diese Vieldeutigkeit des Armutsbegriffs tauchte beim Gedankenaustausch unserer Brüder und Schwestern Asiens in Kandy zuallererst auf. Manche von ihnen — keineswegs solche, die eine besonders aktivistische oder gar revolutionäre Vergangenheit hatten — betonten mit einer Leidenschaft, die von Herzen kam und in langer betender Erfahrung gereift war, daß es weder erlaubt noch überhaupt möglich sei, evangelische Armut zu leben, ohne sich mit der realen Armut der Menschen um uns herum zu solidarisieren.

Als die monastischen Orden aus dem Westen nach Asien kamen, gingen sie vornehmlich in ländliche Gegenden. Trotz löblicher Opfer und bei allem guten Willen führten sie dabei einen Lebensstil ein, der dem europäischen Niveau eher entsprach als dem der ansässigen Bevölkerung. Die Folge war, daß ein Novize, der ins Kloster kommt, einfach durch die Gegebenheiten, die er dort vorfindet, nicht gerade zu jener inneren Loslösung motiviert wird, sondern eher so etwas erfährt wie einen materiellen und sozialen Auf- stieg. Die meisten Kommunitäten haben zwar alle möglichen Einrichtungen geschaffen, um der Bevölkerung zu helfen; sie haben wirksam daran gearbeitet, die Lebensbedingungen zu verbessern, vor allem durch technischen Fortschritt in der Landwirtschaft und durch Bildungseinrichtungen. Viele — oder doch einige — merken jedoch heute, daß darin eine gewisse Zweideutigkeit enthalten ist: Denn indem man alles das tut, bleibt man selbst innerhalb der Bevölkerung eine reiche und bevorrechtete Minderheit und gehört nicht zu den 80 Prozent derer, die in manchen Ländern unter dem Existenzminimum leben müssen. Antworten auf solche Fragen sind freilich nicht leicht, aber das Problem besteht. Es ist ein Zeichen für den hohen Rang der Tagung von Kandy und für die große Reife des asiatischen Mönchtums im allgemeinen, daß diese Fragen kraftvoll und ausgeglichen von den Mönchen dieser Länder vorgebracht werden konnten, ohne Abwehrreaktionen hervorzurufen.

Nicht wenige Mönche und Nonnen Asiens hören heute den Ruf, die Armut ihrer Mitbürger auf sich zu nehmen und eine der ihren ähnliche Lebensweise zu führen. Ja, sie gelangen sogar allmählich zu der Überzeugung, daß diese Teilhabe nicht genügt. Ebenso wichtig erscheint es ihnen, dafür Sorge zu tragen, daß die sozialen und politischen Strukturen, die überall auf der Welt die Armut erst eigentlich erzeugen und erhalten, umgewandelt und verändert werden. So kann es paradoxerweise dazu führen, daß evangelische Armut, wenn sie von Christen überall echt gelebt würde, zu einem Werkzeug tiefgehender Umformung der sozialen und politischen Verhältnisse führen könnte. Dazu freilich wäre die Solidarität aller vonnöten.

In diesem Rahmen haben nun unsere asiatischen Brüder und Schwestern an ihre Brüder und Schwestern in den reichen Ländern ihren Appell gerichtet, der einem Aufschrei gleichkommt. Denn das Elend der Länder Asiens ist ja weithin eine Folge der Einwirkung der westlichen (christlichen !) Kolonisation, die das ökologische Gleichgewicht zerstört hat. Dieses ruhte auf Ernährungsweisen und jahrtausendealten landwirtschaftlichen Methoden, an deren Stelle nun — zu Nutz und Frommen des Westens — Monokulturen getreten sind. Solches Elend dauert an und verstärkt sich noch durch das außer Gleichgewicht geratene internationale Wirtschaftssystem, das den reichen Ländern gestattet, immer reicher zu werden und ihren hohen Lebensstandard zu erhalten. Die Mönche und Nonnen der reichen Länder müssen begreifen lernen, daß das menschenunwürdige Elend von Hunderten von Millionen Menschen der Preis für jenen Wohlstand und jene Vorteile ist, den sie dank ihrer eignen Gesellschaftsordnung genießen dürfen.

Was ist da zu tun? Gewaltsame Revolutionen führen meist zu nichts anderem als dazu, aus den Unterdrückten von gestern die Unterdrücker von heute zu machen. Der Menschheit bleibt keine andere Wahl als diese: den Wettlauf nach den materiellen Gütern und nach immer größerem Wohlstand zu stoppen und frei eine große Einfachheit des Lebens zu wählen, oder anders gesagt: Alle müssen sich dazu entschließen, einfacher zu leben, damit ein jeder einfach leben könne. Die Mönche, aber eigentlich jeder Christ, müssen sich herausgefordert fühlen, die evangelische Armut so echt und ansteckend zu verwirklichen, daß dadurch die sozialen Strukturen umgewandelt werden. Freiwillige, reale Armut ist die politische Strategie, die den Christen am Ende des 20. Jahrhunderts als vielleicht letzte Chance angeboten wird, um ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen. Ob sie aus dem Osten, ob sie aus dem Westen kommen — die Mönche, die von sich behaupten, daß sie alles verlassen haben, um Christus nachzufolgen, finden sich vereint, um diese Herausforderung anzunehmen und diese schwere Verantwortung zu tragen.

Alle diese Fragen tauchten bereits am ersten Tag des Kongresses bei der Aussprache über das Thema »Armut im Christentum« auf, das als eine Art allgemeine Einleitung die Tagung eröffnen sollte. Es wurde von P. Francis Acharya von Kurisumala vorgestellt, einem ehemaligen Zisterzienser von Scourmont in Belgien, der seinerzeit mit P. Monchanin und P. Le Saux (Abhishiktananda) 1955 nach Indien gegangen war und dort bald darauf das Kloster Kurisumala zusammen mit P. Beda Griffith gegründet hatte. Nach einer Darstellung der radikalen Loslösung, wie sie Altes und Neues Testament sowohl wie das Beispiel der Väter des christlichen Mönchtums fordern, formulierte P. Francis  für die Gruppenarbeit folgende Frage: Führt unser monastisches Leben, so wie wir es praktizieren, zu solcher Loslösung ? Es war eine scharf zugespitzte Frage, die jene Erkenntnisse bewußt machen sollte, wie sie oben beschrieben wurden.

Der zweite Tag unseres Zusammenseins war dem Thema »Armut in den nicht- christlichen Religionen« gewidmet. Die drei letzten Tage hatten folgende Fragen zum Gegenstand: »Armut und Lebensstil«, »Armut im sozio-ökonomischen Kontext« und schließlich »Armut und Gebet«.

 

Armut in den nicht-christlichen Religionen

 

Thomas Merton war in seinen letzten Lebensjahren vom großen geistlichen Reichtum der religiösen Traditionen des Ostens, besonders des Buddhismus, fasziniert gewesen. Seine Anwesenheit bei dem Kongreß in Bangkok 1968, wo er in die Ewigkeit abberufen wurde, trug viel dazu bei, dieses Treffen christlicher Mönche zu einem Dialog der Religionen auszuweiten. Beim Kongreß von Bangalore 1973, an dem auch einige Vertreter des Hinduismus und Buddhismus teilnahmen, verstärkte sich diese Tendenz. Bald danach schrieb der indessen verstorbene Kardinal Pignedoli, Präsident des Sekretariats für das Gespräch mit den Nicht-Christen, an den Abtprimas der Benediktinischen Konföderation mit der Bitte, die Mönche möchten eine führende Rolle in dem Dialog zwischen Christentum und den großen östlichen Religionen übernehmen, da das Mönchtum eine allen gemeinsame Dimension sei. Dom Rembert Weakland, der damalige Primas, beauftragte nach Befragung des Generalabtes der Zisterzienser die A. I. M. mit dieser Aufgabe. Es wurden daraufhin zwei Organismen ins Leben gerufen, eine in den USA, der "North American Board for East West Dialogue" (.N.A.B.E.W.D.), eine andere, etwas später, in Europa, der »Dialogue Inter-Monastères« (D. I. M.).

Gelegentlich empfand man im Leitungsgremium der A.I.M. ein gewisses Unbehagen. Einige Mitglieder meinten, dieser interreligiöse Dialog ginge über die Kompetenzen der A. I. M. hinaus, der Abtprimas Viktor Dammertz widmete daher diesem Gegenstand einen sehr wichtigen Abschnitt seiner Eröffnungsansprache in Kandy und ermunterte die A.I.M. sowohl wie die beiden genannten Unterorganisationen zu ihrer Aufgabe — mit der Einschränkung freilich, sich auf den monastischen Aspekt dieses Dialogs zu konzentrieren, also auf das Gespräch zwischen christlichen und nicht-christlichen Mönchen. Viele Gründe mögen für eine solche Einschränkung sprechen; man muß indessen bedenken, daß es verhältnismäßig leicht ist, zwischen Mönchtum und Christentum (wenigstens im Westen) zu unterscheiden, daß es jedoch für die großen Religionen Asiens, besonders für den Buddhismus, der eine wesenhaft monastische Religion ist, große Schwierigkeiten mit sich bringt. Und wie steht es mit dem Islam, der gegenwärtig kein Mönchtum kennt, es aber früher gekannt hat und dessen »Sufismus genannte mystische Tradition viele Berührungspunkte mit der monastischen Spiritualität besitzt — Der Abtprimas erinnerte auch die Mönche und Nonnen Asiens, die ja dort in enger Fühlung mit der großen religiösen Tradition leben, daß ihnen vor allem die Aufgabe des interreligiösen Dialogs zufalle, während die amerikanische und europäische Gruppe nur subsidiär zuständig sei.

Am zweiten Tag des Kongresses in Kandy wollten wir hören, was unsere nicht-christlichen Brüder über ihr Verständnis der Armut in ihren verschiedenen Religionen zu sagen hätten : ein Hindu, ein Buddhist und ein Muslim. Der Ehrwürdige Anuruddha Thera, buddhistischer Professor an der Universität von Kelaniya, konnte nur für diesen Tag bei uns sein; jedoch der Vertreter des Hinduismus, Swami Siddhinathananda vom Sri Ratnakrishna Ashram in Trichur, Kerala, und der muslimische Professor Jaffar Ali von Bangalore nahmen die ganze Dauer des Kongresses an unseren Arbeiten teil und gewannen alle Herzen durch ihre Einfachheit und Offenheit. Die meisten großen orientalischen Lehrer, denen man in Europa und Amerika begegnet, scheinen unfähig zu sein, andere Beziehungen zu stiften als die zwischen Meister und Jünger. So war ich persönlich ergriffen zu sehen, mit welcher Schlichtheit Swami Siddhinathananada und Prof. Jaffar Ali sich wie alle anderen Teilnehmer in unsere Gruppenarbeit einfügten. Zwar hatten bereits in Bangkok und Bangalore Hindus und Buddhisten teilgenommen, aber es war das erstemal in Kandy, daß auch ein Muslim zugegen war. Das ist um so bedeutsamer, als man ja zur Zeit ein Erwachen des Islam erlebt — ein Erwachen übrigens aus tief religiösen Wurzeln, nicht zu verwechseln mit dem Fanatismus eines Khomeini oder Gadaffi.

Der Radikalismus, mit dem die »sannyasis« des Hinduismus und die »bikkus« des Buddhismus die Loslösung von allen materiellen Dingen üben, muß den christlichen Mönch nachdenklich machen und ihn in seinem Kampf um die Erlangung vollkommener Herzensreinheit ermutigen. Auch der Islam, der zwar das Mönchtum verwirft und in der Armut vor allem ein Krebsgeschwür sieht, von dem die Gesellschaft befreit werden soll, hat zu Zeiten einzelne Fromme gekannt, die freiwillige Armut gewählt und großen Einfluß auf Volk und führende Schichten ausgeübt haben. Prof. Jaffar Ali eröffnete uns auch den Zugang zu der Art und Weise, wie der Islam die ganze Menschheit als eine große gottgehörige Familie versteht.

 

Armut und Lebensstil

 

Das Thema »Armut und Lebensstil« wurde von dem Zisterzienserabt Francis Harjawiyata von Rawa Seneng, Indonesien, in bündiger und scharf formulierter Form dargestellt und warf so viele Fragen auf, daß sich mehrere Generalkapitel damit befassen könnten. . . Der Redner ging davon aus, daß monastische Armut und Lebensstil für den Mönch die äußeren Ausdrucksweisen einer im innersten Herzen ruhenden Wirklikeit sind: des vom Heiligen Geist genährten Verlangens nämlich, auf sich selbst und auf alles zu verzichten und Gott in der Nachfolge Christi zu suchen. Diesem tiefen Verlangen hat Sankt Benedikt im 6. Jahrhundert einen sehr konkreten Rahmen alltäglichen Lebens gegeben. Die Strukturen benediktinischen Lebens, wie die abendländische Tradition sie verstanden und nach Asien zur Zeit der monastischen Gründungen verpflanzt hat, enthalten gewisse Elemente, die im Kontext der Dritten Welt eine wirkliche, von einer Gemeinschaft gelebte Armut zum Problem werden lassen. Hier einige Fragen, die P. Francis aufwarf: Müssen wir das Zönobitentum als Normalform monastischen Lebens beibehalten und das Eremitentum nur als Ausnahme gelten lassen ? Oder sollten wir dem Eremitentum oder doch einer halberernitischen Lebensweise nicht einen größeren Spielraum gewähren? Ist es wirklich nötig, für jede gemeinsame Übung einen besonderen Raum zu bestimmen, in dem man sich nur zu bestimmten Stunden (manchmal nur für ein paar Minuten !) versammelt, oder könnte man nicht die Möglichkeit von Mehrzweckräumen ins Auge fassen, wie das bei den armen Leuten und in manchen nicht-christlichen Klöstern hierzulande üblich ist? Die Liste solcher Fragen war viel länger. Aber manche Benediktiner fanden, daß sie eher die Zisterzienser beträfen, da mehrere Anpassungsvorschläge bei den Benediktinern in Asien bereits verwirklicht seien.

Die Fragen gingen allerdings weit über solche konkrete Einzelheiten hinaus. Die gewöhnliche Einstellung ist ja die, daß man von der gegenwärtigen Gestalt unseres traditionellen benediktinischen Lebens ausgeht und dann überlegt, wie man es in einer von Armut geprägten Umwelt in angepaßterer Form verwirklichen könne. Wäre es nicht angemessener, von der Voraussetzung der gegebenen materiellen und kulturellen Verhältnisse aus jene Form christlichen Mönchtums zu entwerfen, die in diesen Raum und Rahmen hineinpaßt ?

P. Francis stellt die Frage: Ist unser Mönchtum christlich oder benediktinisch ? In der Tat, so lautet seine Antwort, ist es beides. Oder besser: Wir leben christliches Mönchtum in benediktinischer Gestalt. Doch gerade hier, so fährt er fort, liegt das große Problem. In welchem Umfang ist die benediktinische Prägung christlichen Mönchtums für uns wesentlich? Sind wir verpflichtet, sie beizubehalten? Oder sollten wir unser Augenmerk nicht eher auf die christliche Dimension unseres monastischen Lebens richten ? Mit anderen Worten: Ist das benediktinisehe Mönchtum für uns von so hohem Rang, daß wir es sorgfältig bewahren müßten? Oder ist es eher eine besondere Selbstdarstellung christlichen Mönchtums, die es mit Umsicht in einen anderen kulturellen Rahmen einzupassen gilt? Könnten in diesem Rahmen einer Akkulturation allenfalls gewisse wesentliche Elemente benediktinischen Lebens geopfert werden, um zu einer Form christlichen Mönchtums zu gelangen, die mehr auf das religiöse Empfinden der asiatischen Umwelt abgestimmt wäre ?

Natürlich können solche Fragen nicht ohne weiteres beantwortet werden. Immerhin ist es bemerkenswert, daß sie in ruhiger Art sowohl in den Arbeitsgruppen wie im Plenum behandelt werden konnten. Übrigens ist dieses Problem der Akkulturation nicht nur in Asien akut; es stellt sich auch in gleicher Weise und Schärfe in Afrika. Freilich hat es in Asien ein besonderes Gewicht, da die traditionellen Kulturen Afrikas kein organisiertes Mönchtum kennen, während Asien monastische Überlieferungen besitzt, die noch heute lebendig sind und mit ihren Wurzeln bis ins sechste Jahrhundert vor Christus (Jainismus und Buddhismus) oder gar ins zweite vorchristliche Jahrtausend (Hinduismus) zurückreichen. Lokale Bräuche in das europäische System des Mönchtums einzuschmelzen ist nicht einfach. Interessanterweise gehören die wenigen Klöster, in denen Akkulturationsversuche gemacht wurden, nicht den großen internationalen Orden an. Eine der Schwierigkeiten, die sich der Akkulturation entgegenstellen, ist die rasche Entwicklung der Bräuche, zum Teil durch westlichen Einfluß, zum Teil aber auch aus tieferen Gründen. Daher denn auch junge Menschen oft eine große Enttäuschung empfinden, wenn sie den Eindruck bekommen, man wolle einen Schritt zurück machen und die Entwicklung ihrer Gesellschaft abbremsen. Ein europäischer Oberer teilte beispielsweise mit, man habe in seinem japanischen Kloster vor einigen Jahren den traditionellen Brauch eingeführt, sich zum Gebet in der Kapelle auf Matten am Boden zu. setzen. Doch seien die jungen Japaner der heutigen Generation dazu gar nicht mehr imstande, weil sie seit ihrer Kindheit stets Stühle benutzt hätten!

In der Tat muß eine wirkliche Akkulturationsbemühung viel tiefer schürfen. Es ist sicher, daß die Novizen weniger psychologische Hemmungen zu überwinden haben und größere Leichtigkeit, sich einzufügen und zu beharren, empfinden würden, je weniger das Gemeinschaftsleben von fremden Elementen belastet wäre. Daher haben einheimische Gründungen oft mehr Berufe als solche, die von außen gekommen sind oder unter ausländischer Leitung stehen. Aber es ist auch wahr, daß der wesentliche Beitrag der Kulturen Asiens und Afrikas zum Mönchtum auf einer anderen Ebene liegen muß als nur auf der von Speisekarte, Gewand, Musikinstrumenten und dergleichen. Er muß vielmehr das Niveau geistlicher Erfahrung erreichen, wie diese aufgrund eigenständiger Gottesbegegnung und spezifischer Einsicht in das Wesen von Mensch und Welt sowie in die Beziehungen zwischen Gott, Mensch und Welt erwächst. Das zönobitische Mönchtum ist in den meisten Ländern Asiens vorhanden und voll von geistlichem Leben. Dennoch kann man nicht von einem christlichen Mönchtum sprechen, das asiatisch im eigentlichen Sinne wäre — oder gar indisch, koreanisch, indonesisch etc. Soll man sich darüber wundern? Gibt es denn nach mehr als einem Jahrhundert monastischer Präsenz in Nordamerika ein wirklich eigenständiges amerikanisches oder kanadisches Mönchtum ? Wiewohl es offenkundig eine amerikanische oder kanadische Art und Weise gibt, das europäische Mönchtum zu leben, das im vorigen Jahrhundert dorthin verpflanzt worden ist. Man kann auch fragen, ob das mittelalterliche europäische Mönchtum, wie es sich bis heute in Europa nach seiner Wiederbelebung im 19. Jahrhundert erhalten hat, dem religiösen Empfinden und den geistlichen Bedürfnissen der meisten jungen Europäer besser entspricht als etwa jungen Menschen aus Sri Lanka oder Japan. Ich persönlich glaube, daß auch ein junger Europäer oder Amerikaner, der die geistigen Kategorien, die Ausdrucksweise, die Gebräuche, die ganze Weltanschauung, wie sie noch heute im Westen weitergetragen werden, sich aneignen will, genauso aus seiner Kultur aussteigen und in eine ihm fremde Kultur hineinschlüpfen müßte wie ein junger Afrikaner oder Asiate. Allenfalls ist die zu überwindende Kluft im ersten Fall etwas weniger breit. Überdies ist diese kulturelle Übertragung mit ihrer esoterischen Tönung vielleicht reizvoller in einer Gesellschaft, die sich ihrer Solidität und Überlegenheit bewußt ist, als in Gesellschaften, die ernsthaft um ihre eigne Identität ringen müssen.

Parallel zu diesem notwendigen und lobenswerten Bemühen, nationale und kulturelle Traditionen zu bewahren oder gar zurückzugewinnen, geschieht überall in der Welt eine radikale Umwandlung von lokalen Kulturen, eine Auflösung festgelegter Strukturen, Überlieferungen, Glaubenshaltungen, Riten, sittlichen Grundsätzen als Richtlinien für die Lebensgestaltung. Gleichzeitig keimt eine neue Weltkultur. Und damit meine ich eine neue Bewusstseinsbildung, eine neue Art »Menschsein«, und nicht etwa nur den Verkauf von Coca-Cola unter allen Himmelsstrichen und alle anderen Formen westlichen oder östlichen Kulturexports. Ich frage mich, ob in diesem neuen kulturgeschichtlichen Kontakt die Bemühungen um die Entwicklung eines asiatischen oder afrikanischen Mönchtums, ähnlich wie die Schritte in Richtung auf eine indische, afrikanische, lateinamerikanische Kirche, nicht bereits zu spät kommen angesichts der historischen Entwicklung. Mir scheint, was heute von uns erwartet wird, ist eher der Eigenbeitrag aller und eines jeden zu einem neuen, allumfassenden ekklesialen Bewußtsein und zur Ausgestaltung eines vielfarbigen Mönchtums, das in diesem neu heranreifenden ekklesialen Bewußtsein tief verankert wäre. Um dieses Ziel zu erreichen, müßten die Mönche von allen Kontinenten und allen Ländern mit den tiefsten geistlichen Kräften und Überlieferungen ihrer Völker innigst verbunden sein.

 

Armut im sozio-ökonomiscben Kontext

Dieses Thema wurde von P. Aloysius Pieris, einem Jesuiten aus Sri Lanka, Professor an der buddhistischen Universität von Colombo und Direktor eines Zentrums für den Dialog zwischen Christen und Buddhisten sowie Herausgeber einer in Colombo erscheinenden Zeitschrift »Dialog«, behandelt. P. Pieris griff in einer noch klarer und zugespitzteren Form die oben genannten Unterscheidungen zwischen negativer und positiver Armut sowie zwischen den verschiedenen Aspekten evangelischer Armut auf: asketischer Aspekt, Aspekt der Solidarität und des Teilens, sozio-politische Folgerungen und Forderungen. Besonders betonte er den durch alle Zeiten währenden Kampf zwischen dem »Abba«, dem Vatergott, der alle Menschen liebt, und dem Götzen »Mammon«. Armut als Mangel an dem, was nötig ist, damit der Mensch in Würde leben könne, ist objektiv ein Übel und die Frucht der Sünde. Wenn jemand in der Nachfolge Christi freiwillig die Armut als Lebensstil auf sich nimmt, dann erklärt er sich durch eben dieses Tun für Gott und gegen Mammon. So enthält selbst in dieser rein asketischen Haltung — Herzensfreiheit für Gott — die evangelische Armut bereits ein Element der Anklage alles dessen, was den Kult des Mammons einschließt, eine Absage also an den Mißbrauch des Reichtums und an die Unterdrückung der Armen. Unter dem Gesichtspunkt der Solidarität und des Teilens darf man die Armut nicht als verdienstvolle Liebestat betrachten, durch die man sich des überflüssigen begibt, sondern als einen Akt strenger Gerechtigkeit, durch den man die vom Vater empfangenen Güter in aus- gleichender Weise unter die Kinder Gottes verteilt. Haben nicht die Kirchenväter, lange vor Gandhi, gesagt, daß alles, was wir besitzen, den Armen gehört und nicht uns ? Wenn und wo soziale Strukturen Armut erzeugen und fortdauern lassen, muß jeder, der sich für Gott und gegen Mammon entschieden hat, diesen Strukturen den Kampf ansagen. Die politische Dimension evangelischer Armut erscheint somit als schlichte Folgerung aus den beiden anderen Aspekten. Wie es eine positive und eine negative Armut gibt, so ist es auch mit der Religiosität. Negativ ist jede Form von Religiosität, die sich auf Kompromisse mit Geld und Macht einläßt und dadurch sofort versklavend und unterdrükkend wirkt. Positiv ist jene Religiosität, die frei vom Mammon ist und daher selbst Freiheit bringt. Das große Problem des Christentums in Asien ist die Glaubwürdigkeit. Daher muß die Kirche wieder lernen, prophetische Zeichen zu setzen. Hier nun ist der Ort des Mönchtums. Der Mönch muß die Synthese zwischen dem positiven Aspekt der Armut und dem positiven, befreienden Aspekt der Religiosität bewirken. Wie bei Jesus in seiner ersten Taufe im Jordan und seiner zweiten Taufe auf Kalvaria, sind es solche prophetische Zeichen, die unsere Identität sicherstellen und offenbar machen.

 

Armut und Gebet

Die monastische Zusammenkunft in Kandy ging nicht von abstrakten Prinzipien aus, um zu praktischen Konsequenzen zu gelangen. Vielmehr war es umgekehrt. Die Teilnehmer haben sich zuallererst mit der Tatsache der Armut von Hunderten von Millionen Menschen Asiens, die unter unwürdigen Verhältnissen leben, konfrontiert und sich dann gefragt, welche Beziehung bestehe zwischen dieser wirklichen Armut und ihrem Armutsgelübde. Das führte sie dann dazu, eine grundlegende Veränderung ihres Lebensstils ins Auge zu fassen. Dieser Weg führte notwendig zu jener Kontemplation, die eine vollständige Einsicht in die Gesamtwirklichkeit ermöglicht und eine echte Loslösung bewirkt. Hier geschah ähnliches wie in Lateinamerika, wo man auch wahrnehmen konnte, daß ein mit allen Konsequenzen gelebtes Engagement für die Befreiung der Unterdrückten zu den Höhen der Kontemplation führen kann. Das Thema »Armut und Gebet« wurde von einem Europäer behandelt, der, nach einem benediktinischen Leben in England, seit mehr als 25 Jahren in Indien wirkt, wo er zusammen mit P. Francis Acharya das Kloster Kurisumala gegründet hat und nun seit 1968 den Ashram von Shantivanam leitet. P. Beda Griffith hat sich die kontemplative Seele Indiens zutiefst angeeignet und ist heute eine Stimme, auf die man zum Thema Gebet vertrauensvoll hören darf.

Gebet — oder Kontemplation — ist eine Haltung des Empfangens und der Öffnung Gott gegenüber, Diese Öffnung und Bereitschaft des Herzens ist uns möglich in dem Maße, in dem das Herz von materiellen Gütern, von Anhänglichkeit an die Familie, an sozialen Stand und an das eigne Ich frei geworden ist. Bei allem Nachdruck auf diese großen und wesentlichen Wahrheiten war indessen der Beitrag von P. Beda von durchaus praktischer Natur. Man hatte in den Tagen zuvor viel von Einfachheit des Lebens und von Akkulturation gesprochen. P. Beda wollte nun ein paar Beispiele für die Anpassung monastischer Strukturen an die spirituellen Traditionen Indiens geben, um so der Herzensfreiheit und somit der Reinheit des Betens Raum zu schaffen. Er sprach unter anderem vom Einsiedlerleben, vorn Wandermönchtum, vom Leben eines Ashram, von. der Meditation und von einer der einheimischen Kultur gemäßen Liturgie. In unseren Tagen erwacht da und dort auch im Westen wiederum das Einsiedlertum. Sollte man diese Entwicklung nicht gerade in Asien fördern, wo das Eremitentum seit Jahrtausenden die erste und normalste Form des Mönchtums gewesen ist? Der Einsiedler kann ja in so radikaler Form arm sein, wie es eine Gemeinschaft, zumal eine größere, niemals vermag. Ferner: So wie das keltische Mönchtum, kennen Hinduismus und Buddhismus seit ältester Zeit das Wandermönchtum, das man nicht mit dem Gyrovagentum verwechseln sollte, das Benedikt so scharf verurteilt. Der Wandermönch hat, nach dem Beispiel Christi, nichts, wohin er sein Haupt betten könnte. Er besitzt nur das Gewand und die Schale, mit der der Lebensunterhalt für einen jeden Tag erbettelt wird. Er bleibt nur während der Regenzeit für länger in einem Kloster. Die Regeln schreiben vor, daß ein „sannyasi“ weder Heim noch Haus haben darf, also keine Familie. Er darf seine Nahrung erst erbetteln, wenn der Hausherr seine Mahlzeit beendigt hat. Anders als der Zönobit, der eine große materielle Sicherheit genießt, lebt ein solcher »sannyasi« so völlig ungesichert, daß er einzig und allein auf die Vorsehung verwiesen ist. Daher denn auch sein Herz ganz Erwartung und Bereitschaft für Gott ist, der darin Wohnung nehmen will. Das Leben eines solchen Wandermönchs ist zweifellos sehr verschieden vom benediktinischen Leben. Aber es scheint, als wäre es eine für christliches Mönchtum in Asien notwendige Form neben dem Zönobitentum.

Das andere Element, das christliches Mönchtum mit Gewinn der Hindutradition entnehmen könnte, ist der Ashram. Wenn man gemäß westlicher Tradition eine monastische Gründung machen will, sammelt man zuerst Geld. Dann kauft man ein Stück Land, errichtet Gebäude, organisiert einen landwirtschaftlichen oder industriellen Betrieb, um die Einkünfte zu sichern. Dann versammelt man eine Kommunität von Mönchen oder Nonnen, die dort wohnen und das reguläre Leben beginnen sollen. Ein Ashram in Indien hingegen beginnt völlig anders : Zuerst ist da ein Gottesmann, ein „sannyasi“ oder Wandermönch, der ohne jegliches Eigentum von Dorf zu Dorf zieht. Er setzt sich in das Dorfheiligtum oder vor irgendein Haus, wo man ihn aufgenommen hat. Er nimmt die Nahrung entgegen, die man ihm bietet, und abends spricht er vielleicht zu den Leuten, die sich um ihn versammeln. Eines Tages werden ihn dann einige von ihnen bitten, einige Zeit bei ihnen zu bleiben, um von ihm geistliche Unterweisung zu empfangen. Sie bauen ihm eine Hütte und darum herum andere Hütten für sich selbst, und so ist ein Ashram um diesen Gottesmann herum entstanden. Er selbst hat dabei nichts anderes getan als gebetet und seine Jünger im Beten unterwiesen. Ein Gebetszentrum also — das ist das Wesen eines Ashram; eine Jüngergruppe um einen heiligen Mann, dessen Gebetsleben sie teilen, dessen Unterweisungen sie empfangen. Ist das nicht genau das, was sich zur Zeit des Antonius begeben hat oder auch mit Benedikt am Anfang seines Mönchslebens ?

Ein Ashram ist eine kleine Gemeinschaft. Er wird niemals eine große Institution. Er ist eine Kommunität, die allen offensteht: Männern, Frauen und Kindern. Das Stillschweigen ist nicht das gleiche wie in den Kreuzgängen großer Abteien. Aber dem Gebet entspringt, ganz ohne Vorschriften, ein echtes Schweigen des Herzens und auch die Stille der Räume. Das Gebet, das dem Ashram eigentümlich ist, besteht in der Meditation, die viel mehr Zeit in Anspruch nimmt als das liturgische Beten. Dieses fehlt dennoch nicht, stets begleitet von körperlichen Gebetsgesten und symbolkräftigem Beiwerk: Gaben der Natur wie Wasser, Licht, Blumen, Weihrauch und natürlich Musik.

Es gibt schon eine größere Zahl christlicher Ashrams in Indien, und die indische Bischofskonferenz hat Gründung und Entwicklung solcher Häuser in einem Dokument aus den letzten Jahren ermutigt. Hier ist eine vieltausendjährige Tradition indischer Religiosität vorhanden, der christliches Mönchtum in Indien Beachtung schenken muß und die wohl auch der Religiosität unserer Zeit in vielen anderen Ländern entsprechen dürfte.

In der Aussprache, die dem Vortrag von P. Beda folgte, war viel von den kleinen Kommunitäten die Rede. Es besteht eine Neigung zur Einrichtung kleinerer Kommunitäten in Anlehnung an größere Klöster; diese könnten dann einen sehr einfachen Lebensstil im Einklang und Solidarität mit der Bevölkerung wählen. Mehrere Versuche in dieser Richtung sind bereits gemacht worden; denn in armen Ländern ist es für eine große Kommunität wegen der Notwendigkeit entsprechender Gebäude und Einnahmequellen, kaum möglich in einer gemeinschaftlichen Armut zu leben. Der Gedankenaustausch zeigte auch, daß vielfach in der monastischen Welt der Wunsch vorhanden ist, über das Verhältnis von persönlichem und gemeinschaftlichem Gebet neu nachzudenken. Ein deutliches Zeichen der neuen Sensibilität in der gesamten Weltkultur, von der bereits die Rede war, ist die neue Beziehung und das neue Gleichgewicht zwischen der Glaubenserfahrung und deren religiösem Ausdruck in Ritus und Kult. Hier entspricht die Gewichtung Benedikts zwischen persönlichem und gemeinschaftlichem Gebet nicht mehr der religiösen Sensibilität und den geistlichen Bedürfnissen des heutigen Menschen, den es mehr nach Innerlichkeit als nach ritueller Übung verlangt.

Alle diese Überlegungen warfen unvermeidlich abermals die Frage nach dem normativen Wert der Benediktusregel auf. Man wies darauf hin, daß in der Praxis aller unserer Kommunitäten die geistliche Tradition, mittels derer wir die Regel interpretieren, nicht weiter als ein, höchstens zwei Jahrhunderte zurückreicht. Und wir lesen die Regel gern in der Absicht, darin jene Praxis bestätigt zu finden, die wir selber üben, Man müßte hingegen in der Regel die befreiende Kraft wieder zu entdecken versuchen, die sie selbst in der möglichst weiträumigen Entfaltung des Lebens entbinden will.

Mit solchen Gedanken endete diese Woche des gemeinsamen Suchens und Überlegens. Es blieb nur übrig, die Ergebnisse in einen offiziellen Text einzubringen und abschließend eine zusammenfassende Auswertung zu versuchen — ein Bemühen, dem der letzte Nachmittag gewidmet war. Der offizielle Text liegt in der Botschaft der Mönche Asiens an ihre Brüder und Schwestern in der monastischen Welt vor. Sie war von einer Gruppe redigiert und nach Diskussion im Plenum und kleinen Kreisen überarbeitet und schließlich einstimmig verabschiedet worden. Mut und Strahlkraft dieses Textes sind deutliche Zeichen für den großen geistlichen Reichtum des Kongresses von Kandy [2] .

 

Auswertung

Dom Jean Leclercq, der an allen drei großen Tagungen des Mönchtums in Asien wie auch bei vielen ähnlichen Kongressen, die von der A.I.M. in verschiedenen Erdteilen veranstaltet worden waren, teilgenommen hatte, wurde um sein Gesamturteil gebeten. Er schilderte den langen Weg, den man zurückgelegt hatte: Bangkok — das war die Entdeckung von Neuland, Bangalore — hier setzte man schon ein paar Schritte hinein ins Unbetretene, Kandy — man gelangte zu tieferen Einblicken und fand zu den eignen Wurzeln. Diese Fortschritte bezogen sich sowohl auf die Begegnung zwischen Personen wie zwischen Religionen. Zuerst lernte man sich kennen, dann: sich lieben, und schließlich war dieses liebende Einverständnis tief genug, um in aller Gelassenheit objektiv und kritisch sein zu können.

Kandy war, meint Dom Leclercq, weniger spektakulär, dafür aber intimer, weniger theoretisch als praktisch. Man beurteilte in großer Freiheit unser Erbe und unsere Geschichte. Im Blick auf die östlichen Religionen kann man nun besser zwischen Ideal und Wirklichkeit unterscheiden, Man bewundert weiterhin ihre Werte, ohne dabei die Probleme zu verkennen, die letztlich von den unsrigen nicht allzu verschieden sind.

Wir alle müssen — so Dom Leclercq — drei Fragen stellen: 1, Was hat der Osten dem Westen zu bieten, besonders den Tausenden jungen Europäern und Amerikanern, die dorthin kommen auf der Suche nach sich selbst und nach einer echten Spiritualität? 2. Was kann der \Vesten dem Osten bieten, nicht zuletzt den Millionen von Asiaten, die in Europa und Amerika leben, oft genug als die sozial schwächsten Gruppen der Gesellschaft? 3. Was können Osten und Westen einer Konsumgesellschaft entgegenhalten, deren zerstörerischer Einfluß in allen Ländern der Welt zu spüren ist? Als Antwort auf diese letzte Frage müssen gerade wir Mönche durch unser Leben, unseren Glauben an ein höchstes Wesen — für die christlichen Mönche also an Gott, den liebenden Vater aller Menschen — bekunden. Mit anderen Worten: Wir müssen durch ein Leben der Entsagung unsere totale Gottsuche glaubwürdig bezeugen.

Selbst gebeten, auch meine Eindrücke von dieser Tagung zu formulieren, vor allem unter gruppendynamischem Gesichtspunkt, machte ich unter anderem folgende Bemerkungen: Die zahlenmäßige Stärke der indischen Teilnehmer war zweifellos sehr positiv wegen der reichen Erfahrungen, die sie einbrachten. Doch wurde dadurch die Aufmerksamkeit etwas zu aus- schließlich auf Indien gerichtet, und die andersartigen Erfahrungen anderer Länder kamen dabei ein wenig zu kurz. Ebenso war der Beitrag der Teilnehmer aus Sri Lanka sehr wertvoll, jedoch handelte es sich um den mehr aktiven Zweig benediktinischer Tradition, so daß die kontemplativen Gemeinschaften, ohnehin in der Minderheit, nicht recht zum Zuge kamen.

Das Gleichgewicht zwischen Experten aus anderen Regionen und den Vertretern der asiatischen Kommunitäten war ausgewogener als in Bangalore. Dort war eine beachtliche Zahl sehr kompetenter Fachleute mit gelegentlich recht persönlichem Stil zu Worte gekommen und hatte, ohne es zu wissen und zu wollen, den Gedankenaustausch monopolisiert. Daher entsprach es den Wünschen der Oberen aus Asien, daß nach Kandy nur wenige Experten eingeladen worden waren, und diese waren mehrheitlich selbst Mönche. Ihre Mitarbeit war zurückhaltend und das Zusammenwirken zwischen ihnen und den übrigen Teilnehmern erwies sich als fruchtbar, Die Vorträge, die jeden Tag das Gespräch eröffneten, wurden stets von Mönchen gehalten, mit Ausnahme des Referats von P. Pieris. Sie waren meist praktisch und anregend. Das Diskussionsklima blieb immer von erstaunlicher Ruhe bestimmt, wenn man die brennende Aktualität und Brisanz der Probleme und die oft lebhaft und scharf formulierten Fragen in Betracht zieht. Seit Bangalore konnte man eine große Entwicklung in der Bewußtseinsbildung für soziale und ökonomische Probleme sowie für deren Rückwirkung auf die monastische Armut und auf die dringende Notwendigkeit größerer Anpassung monastischer Lebensformen an die vorfindlichen Kulturen wahrnehmen. Freilich gab es auch manches Zögern, viele Fragen blieben ohne Antwort, doch verschanzte sich niemand hinter festgelegten Positionen.

Zusammenfassend kann man sagen: Das Mönchtum in Asien, wie es sich in Kandy dargestellt hat, ist voll gesunder Lebenskräfte — mit einer gewissen Einschränkung : Ich habe den Eindruck, daß die Mönche in Asien in ihrer hellsichtigen Aufrichtigkeit mit ihrer Vergangenheit und ihrem gegenwärtigen Zustand zu streng und zu negativ ins Gericht gehen. Mir wäre eine positivere und ermutigende Beurteilung alles dessen, was geworden ist und was an sehr Wertvollem auch jetzt geschieht, lieber gewesen. Der Abtprimas betonte in seinem Schlußwort den pluralistischen Charakter der monastischen Familie Sankt Benedikts mit ihren Gemeinschaften mehr kontemplativer und mit anderen mehr aktiver Prägung. Besonders würdigte er, daß unsere Gespräche am letzten Tag das Thema Gebet behandelt hätten. Was immer wir auch nach außen leisten können, meinte er, unser wichtigster Beitrag für Asien bestünde  innere darin, daß wir Männer und Frauen sind, die Gott suchen.

 

Armand Veilleux

 



[1] Aus dem Bulletin der A.I.M. 1980, Nr. 29, S. 7-22, übersetzt von Paulus Gordan.

[2] Da die »Botschaft« — streckenweise wörtlich — in diesen Bericht eingearbeitet ist, verzichten wir auf die Wiedergabe des Textes, um Wiederholungen zu vermeiden. Der Übersetzer.