26. November 2011 – Kirchweihetag in Maria Frieden
Jesaia 56, 1. 6-7; Eph. 2, 19-22; Lukas 19, 1-10

 
H O M I L I E

 

          Das Verlangen, Gott zu sehen, durchdringt das ganze Alte Testament. Mehrere Propheten haben ausdrücklich darum gebeten, Gottes Gesicht zu sehen, sogar nach dem schönen Ausdruck Jesaias, Ihm zu sehen, „indem man sich gegenseitig in die Augen anschaut“.

          Der Grund dafür ist es, dass das Gesicht einer Person, besonders ihre Augen am meisten offenbart, was diese Person in ihr Herz schließt. Die Liebe oder der Hass, die Freude oder das Schmerz, die Begeisterung oder die Trauer sind da zu ablesen. Wenn jemand das Gesicht Gottes sehen will, möchte er ihn nicht abstrakt kennen, sondern wissen wer er für ihn sei.  

          Gleichzeitig wird der Mensch vom Gesicht Gottes geängstigt, denn er ist ein Sünder. Bei der Konfrontation mit Gott ist er davon noch mehr bewusst. Es gab auch im Alten Testament den Glauben, nach dem man nicht das Gesicht Gottes sehen und leben konnte.  

          Mit der Menschwerdung jedoch ist das Gesicht Gottes uns offenbart und wir können es sehen. Paulus sagt uns dass der Ruhm Gottes auf dem Antlitz Christi glänzt (2 Kor 4,6) und dass die Fülle der Göttlichkeit in ihm leiblich wohnt (Kol 2,9). Wir können also von nun an das Gesicht Gottes sehen und leben.

          Im eben vorgelesenen Evangelium haben wir das Beispiel eines Mannes, der das Gesicht Gottes sehen wollte: Zachäus. Zachäus war nicht genau ein Unschuldlamm. Er war ein Steuersammler, und sogar der Vorsteher der Steuersammler in Jericho. Er war in der Stadt als Sünder gekannt. Er hatte ein kindliches Herz, doch, und irgendwo in diesem Herzen eine weiche Stelle. Er wusste, dass Jesus durch seine Stadt vorbeikommen sollte, und er wollte ihn so sehr sehen, dass er seine Wichtigkeit einen Moment vergaß, fing an wie ein Kind zu laufen und kletterte auf einen Baum, um ihn zu sehen

          Was dann geschah? Die Rollen wurden vertauscht. Als Zachäus Jesus sehen wollte, war es Jesus, der Zachäus sah und ihn anschaute, mit liebevollen Augen, die ihn verwandelten. Jesus erhob die Augen nach Zachäus auf seiner Sykomore und sagte ihm: „Zachäus, klettere schnell hinunter, ich muss heute bei dir wohnen.“

          Mit großer Freude kletterte Zachäus hinunter und erklärte:  „Herr, ich schenke die Hälfte meiner Güter den Armen; wenn ich jemandem geschadet habe, möchte ich ihm vierfach zurückgeben.“ Wenn Jesus jemanden anschaut, liebt er ihn und diese Liebe beruft ihn zu wachsen. Denken wir an die Geschichte des jungen reichen Mannes, den Jesus kurz vor seiner Begegnung mit Zachäus getroffen hatte. Er wollte wissen was zu tun, um den ewigen Heil zu erlangen. Jesus hatte ihn angeschaut und geliebt. Er hatte ihn dazu berufen, er möge sich nicht nur um das ewige Leben, sondern um die Armen zu kümmern. „Geh, verkauf dein ganzes Eigentum und schenke es den Armen“. Da er gern das ewige Leben nach dem Tod haben, aber auch seine Reichtümer fürs gegenwärtige Leben behüten wollte, ging er sehr traurig wieder. Im Gegenteil, sobald Zachäus vom Blick Jesu ergriffen ist, kümmert er sich um die Armen und um diejenigen, die er benachteiligt hat. Und Jesus erklärt, dass das Heil (kein Heil für später nach dem Tod sondern der Heil für heute) wirklich für ihn geworden ist. „Heute, sagt er, ist das Heil für dieses Haus gekommen.“      

          So etwas geschieht auch uns jedes Mal, wenn wir uns nicht damit begnügen, Gott sehen zu wollen, sondern wenn wir wagen, uns seinem Blick offen zu stellen: zugleich Freude und Ruf zum Wachstum und also zur Umkehr. Wenn Menschen nach uns schauen, kann vieles in uns geschehen. Wenn gewisse Personen uns anschauen, fühlen wir uns erbärmlich, demütigt, niedergeschlagen. Es wäre als ob sie wieder an die Oberfläche aufsteigen ließen, was in uns schlecht ist. Wenn andere Personen uns anschauen, ist es das Gegenteil. Wir fühlen uns in Form, ermutigt, fähig anders zu werden und zu wachsen. Sie lassen das Beste von uns an die Oberfläche aufsteigen. Es ist eindeutig, dass Jesus im Evangelium von heute morgen mit dieser zweiten Art und Weise Zachäus angeschaut hat. Mit ähnlicher Art und Weise schaut er uns jedes Mal an, wenn wir in diese Kirche kommen, um ihn zu beten. 

          Liebe Schwester Mechthild, wenn Du ins monastische Leben eingetreten bist, war es wahrscheinlich mit dem Verlangen, Gottes Gesicht zu sehen. Während längerer Jahre hat Gott Dich durch die Augen Deiner Mitschwestern in Koningsoord angeschaut. Du niederlässt Dich jetzt  durch das Gelübde der Stabilität in diesem anderen Haus Gottes, der Kommunität von Maria Frieden. Jetzt, es ist durch die Augen der Mitschwestern dieser Kommunität dass Gott schaut Dich an. Mögest Du die Gnade empfangen, auch Du, fähig zu sein, in jeder Deiner Mitschwestern dieser Kommunität das Gesicht Gottes zu sehen.    
 
Armand VEILLEUX

 

 

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